emotionale Wahrnehmung
Wenn kognitive Ansätze die Abwehrmechanismen verstärken, können non-kognitive, erfahrungsorientierte Interventionen hilfreich sein, um die emotionale Wahrnehmung zu fördern, ohne die Abwehr zu triggern.
Folgende Ansätze konzentrieren sich auf die direkte Erfahrung und das körperliche Erleben der Emotionen, ohne die kognitiven Abwehrmechanismen anzusprechen oder zu aktivieren. Der Patient hat die Möglichkeit, Emotionen auf einer tieferen, körperlich-emotionalen Ebene zu erkunden und auszudrücken.
Diese Form der Psychotherapie arbeitet durch achtsame, direkte Körperwahrnehmung an der Integration von emotionalen und somatischen Prozessen, ohne den Umweg über kognitive Analyse. Der Körper wird als direkter Ausdruck des emotionalen Erlebens angesehen, und durch die bewusste, wertfreie Wahrnehmung können tiefere Ebenen der Heilung erreicht werden.
Körperorientierte Psychotherapie:
Direkte Fokussierung auf den Körper: Anstatt über die Emotionen oder kognitiven Inhalte zu sprechen, lenkt der Therapeut die Aufmerksamkeit direkt auf die körperlichen Empfindungen. Der Patient wird sanft angeleitet, bestimmte Körperbereiche wahrzunehmen, z.B. „Was spürst du gerade in deinem Bauch?“ oder „Wie fühlt sich dein Atem in diesem Moment an?“. Der Körper wird als Zugang zu verdrängten Emotionen genutzt, ohne dass diese kognitiv hinterfragt oder analysiert werden. Beispielsweise Focusing.
Ein zentrales Prinzip der körperorientierten Psychotherapie ist die Annahme, dass der Körper Emotionen speichert und oft als erster auf psychische Belastungen reagiert. Verspannungen, Schmerzen oder andere körperliche Symptome können Ausdruck emotionaler Konflikte oder unbewusster Traumata sein. Durch die bewusste und achtsame Hinwendung zu Körperempfindungen wird der Klient dazu eingeladen, diese als Ausdruck innerer emotionaler Zustände zu verstehen. Der Fokus liegt nicht auf einer kognitiven Deutung, sondern auf dem direkten Erleben und der Wahrnehmung dieser Empfindungen.
Die achtsamkeitsbasierte, körperorientierte Psychotherapie ist ein integrativer Ansatz, der Elemente der Achtsamkeit mit der Arbeit am Körper kombiniert, um psychische und emotionale Heilungsprozesse zu fördern. Anders als in der klassischen Gesprächstherapie, wo häufig kognitive Deutungen und Analysen der Emotionen vorgenommen werden, bleibt der achtsamkeitsbasierte, körperorientierte Ansatz auf der Ebene des Erlebens und der Erfahrung. Die Emotionen werden nicht sofort benannt oder interpretiert, sondern einfach wahrgenommen, gefühlt und als Teil des gegenwärtigen Moments akzeptiert.
Achtsamkeit (Mindfulness) bedeutet, die Aufmerksamkeit absichtsvoll auf den gegenwärtigen Moment zu richten, ohne diesen zu bewerten. In der Psychotherapie wird der Klient angeleitet, seinen Körper, seine Gedanken und Emotionen achtsam wahrzunehmen, ohne sofort zu reagieren oder diese zu analysieren. Ziel ist es, den Klienten dabei zu unterstützen, eine neutrale und akzeptierende Haltung gegenüber seinen inneren Erlebnissen einzunehmen.
Freie Bewegung als Ausdruck des Unbewussten: In einer nicht-direktiven und nicht-interpretativen Haltung wird der Patient eingeladen, sich spontan zu bewegen, während der Therapeut lediglich beobachtet. Die Bewegungen entstehen aus dem Inneren und helfen, verdrängte Emotionen nonverbal auszudrücken. In meinen Therapiegruppen gibt es keine Stühle und wir bewegen uns frei durch den Raum.
Atemarbeit: Tiefe Atemmuster zur Aktivierung: Durch gezielte Atemübungen (z.B. tiefes Bauchatmen) wird der Patient in einen Zustand tieferer Selbstwahrnehmung gebracht, der den Zugang zu verdrängten Emotionen fördert. Das Atmen aktiviert das autonome Nervensystem, das oft Emotionen trägt, die unter der Oberfläche liegen. Deswegen wird Stabilisierung parallel angewandt. Aufarbeiten und Integrieren. Mögliche Unterstütztung durch rhythmische Musik.
Dialog mit dem Körper: Der Patient wird aufgefordert, „mit seinem Symptom zu sprechen“. Zum Beispiel könnte er mit dem Gefühl der „Erkältung“ in einen imaginären Dialog treten, ohne diesen zu analysieren. Der Prozess bleibt rein erfahrungsbasiert und emotional, während kognitive Interpretationen zurückgestellt werden.
Egons Focusingübung
Focusing: Eine körperorientierte Methode zur Selbsterforschung
Die oben beschriebene Übungsanleitung basiert auf der Focusing-Methode, die von dem Psychotherapeuten Eugene Gendlin entwickelt wurde. Focusing ist eine erfahrungsorientierte Technik, die Menschen dabei hilft, einen tieferen Zugang zu ihrem inneren Erleben zu finden, insbesondere zu vagen und schwer greifbaren körperlichen Empfindungen, die oft mit emotionalen und psychischen Themen verbunden sind.
Zweck der Übung
Der Hauptzweck dieser Übungsanleitung ist es, den Teilnehmern zu ermöglichen, schrittweise ihre seelischen Lebenseindrücke im eigenen Körper wahrzunehmen. Die Übung zielt darauf ab:
1. Einen inneren Freiraum zu schaffen, frei von unmittelbaren Belastungen.
2. Die Aufmerksamkeit auf subtile körperliche Empfindungen zu lenken.
3. Einen verbalen oder bildlichen Ausdruck für diese Empfindungen zu finden.
4. In einen inneren Dialog mit diesen Empfindungen zu treten.
5. Veränderungen und Einsichten zuzulassen, die aus diesem Prozess entstehen.
Wissenschaftlicher Hintergrund
Focusing basiert auf Gendlins langjähriger Forschung zur Frage, warum manche Menschen von Psychotherapie mehr profitieren als andere. Er entdeckte, dass erfolgreiche Klienten in der Therapie oft intuitiv auf eine bestimmte Art und Weise mit ihren inneren Erfahrungen umgingen - eine Fähigkeit, die er später als Focusing bezeichnete und systematisch entwickelte.
Gendlins Ansatz gründet auf der Theorie des "erlebten Sinns" (felt sense), einem präverbalen, körperlichen Gewahrsein einer Situation oder eines Problems. Dieser "felt sense" enthält oft mehr Informationen als das, was wir bewusst denken oder fühlen können. Durch den Focusing-Prozess können Menschen lernen, diesen "felt sense" wahrzunehmen und zu entschlüsseln.
Die Wirksamkeit von Focusing wurde in verschiedenen Studien untersucht:
- Es wurde gezeigt, dass Focusing die emotionale Selbstregulation verbessern kann.
- Focusing kann zu einer Verringerung von Angstsymptomen und depressiven Symptomen führen.
- Es kann die Körperwahrnehmung und das allgemeine Wohlbefinden steigern.
- In der Psychotherapie kann Focusing den therapeutischen Prozess vertiefen und beschleunigen.
Körperpsychotherapeutischer Kontext
Focusing gehört zum Bereich der körperorientierten oder somatischen Psychotherapien. Diese Ansätze gehen davon aus, dass Körper und Psyche untrennbar miteinander verbunden sind und dass psychische Prozesse immer auch eine körperliche Komponente haben.
Im Gegensatz zu rein kognitiven oder verbalen Therapieformen zielt Focusing darauf ab, die körperliche Dimension des Erlebens direkt einzubeziehen. Dies kann besonders hilfreich sein für Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle und Erfahrungen in Worte zu fassen.
Durch die Fokussierung auf körperliche Empfindungen und die Entwicklung einer Sprache für diese Empfindungen kann Focusing eine Brücke zwischen dem impliziten, körperlichen Wissen und dem expliziten, verbalen Verstehen schlagen. Dies kann zu tieferen Einsichten und nachhaltigen Veränderungen führen.
Anwendungsbereiche
Focusing kann in verschiedenen Kontexten angewendet werden:
- Als eigenständige Selbsthilfemethode
- Als Ergänzung zu anderen Psychotherapieformen
- In der Beratung und im Coaching
- Zur Förderung von Kreativität und Problemlösung
- In der Stressbewältigung und Burnout-Prävention